Published: Mon 25 November 2024
By Rex Power Colt
In Indonesia .
tags: traffic Indonesia
Straßenverkehr
Die erste Regel im indonesischen Verkehrs lautet: Es muss überholt werden!
Die zweite Regel im indonesischen Verkehr lautet: Wer überholt muss hupen!
Straßenverkehr in Indonesien läuft nach dem “Shared-Space” Prinzip. Es gibt keine Schilder, jeder muss die ganze Zeit aufpassen was die anderen machen. Das führt dann in der Regel dazu, dass der Stärkere, Schnellere oder Risikoaffinere sich die Vorfahrt einfach nimmt. Typisches Klischee ist die “Ibu” (Mama) mit Kopftuch, die halt einfach auf die Straße biegt ohne zu gucken. Idealerweise blinkt sie dabei noch in die andere Richtung. Dreistigkeit siegt!
Das Auto ist der heimliche König der Straße. Heimlich deshalb, weil die überwiegende Masse an Verkehrsmitteln eindeutig Roller, Motorräder Mofas und andere Zweiräder sind. Theoretisch müssen auch Fahrräder und Fußgänger die Straße benutzen. Es gibt nämlich keine Bürgersteige oder Radwege. Also so gut wie nie. Als Rollstuhlfahrer oder sonst wie eingeschränkte Person ist man dort verloren. Aber freiwillig geht bei der Hitze sowieso niemand zu Fuß oder betätigt sich körperlich. Viel zu anstrengend. Im Auto ist es einigermaßen kühl, das Radio läuft, man kommt außerhalb der Stadt schnell voran und die Chance beim Unfall zu “gewinnen” ist größer. Für Indonesier ist ein Auto aber schon Luxus. Sehr teuer und im Dorf oder in der Stadt dann manchmal doch etwas unpraktisch, weil man so viel Platz braucht. Und mit einem Zweirad kann man ja auch alles transportieren, wofür man nicht zwingend einen LKW braucht. Auch vier Personen oder mehr sind auf einem Motorrad kein Problem. Ganz normales Verkehrsmittel für eine Familie.
Der Mangel an Schildern beinhaltet auch Geschwindigkeitsbegrenzung. Diese gibt es bis auf ganz wenigen Ausnahmen einfach nicht. Man muss halt wissen wie schnell man fahren darf. Oder kann. Denn meistens ist die Beschaffenheit der Straße und der sonstige Verkehr der limitieren Faktor. So richtig Gas geben kann man eh nur außerorts. Und schneller als 50-70 km/h will man auf einer indonesischen Landstraße in der Regel auch nicht fahren. In der Stadt geht es oft mit bis zu 30 km/h voran. Bis wieder jemand die Fahrbahn schneidet oder aus sonst irgendeinem Grund gebremst werden muss. Außnahmen sind die “Toll”-Straßen (so was wie eine Autobahn oder Highway) für die man aber beim Auffahren und Abfahren jeweils für die gefahrene Strecke eine Gebühr zahlen muss. Dafür gibts da so Mautstellen mit Schranken und man scannt eine Karte oder zahlt bar über einen Automaten. Alles “drive-through”, man bleibt also im Auto sitzen.
Habe ich schon erwähnt, dass das Hupen elementar wichtig ist? Hupen, weil jemand mir die Vorfahrt genommen und mich nicht gesehen hat. Hupen, um jemanden zu grüßen. Hupen, um sich zu bedanken, wenn jemand mich vorgelassen hat. Gehupt wird also für alle möglich Dinge, meistens jedoch als Ankündigung eines Überholmanövers.
Ach ja die Überholmanöver.
Überholt wird übrigens auf der Seite wo gerade mehr Platz ist. Egal ob links oder rechts, gern auch zeitgleich - also ein Auto links und ein anderes rechts am Truck vorbei. Und es muss immer überholt werden. Scheint elementar wichtig zu sein. Wenn man dann selber beim überholen überholt wird, weiß man dass man zu langsam war!
Ist das denn sicher?
Ahahaha - Nein! Im Gegensatz zu den Deutschen sind die Indonesier so gar keine Sicherheitsfanatiker.
Natürlich haben die Autos Sicherheitsgurte und Helme gibt es auch. Die Verwendung dieser Utensilien dient aber eher dazu, damit die Polizei in den Städten nicht meckert. Sonst wird es wieder teuer, wegen der vielen inoffiziellen Verwarngebühren, welche von den Ordnungshütern gerne mal verlangt und oft nicht an den Staat weitergegeben werden - wissenschon. Daher schnallen sich nur die Personen auf den vorderen Sitzplätzen im Auto an, denn die werden ja gesehen. Der Helm der Zweiradfahrer ist meistens offen, so dass dieser beim Unfall direkt weg fliegen würde. Im Dorf trägt dagegen fast niemand einen Helm oder sonstige Schutzkleidung. Da brettern die 14-jährigen dann halt mit 60 km/h auf dem Motorrad in Flip-Flops und T-Shirt durch die Gegend. Ganz normal.
Dazu passt dann auch, dass es keinerlei Versicherungen gibt. Wäre auch für die meisten Leute zu teuer. Wie oben bereits geschrieben müssen die anderen halt aufpassen. Markierungen und Ampeln werden auch eher als Hinweise betrachtet. Zebrastreifen haben ebenfalls keine Bedeutung. Wieso sind die Linien manchmal durchgezogen? Keine Ahnung, macht auch keinen Unterschied beim Überholen in der Kurve. Schulterblick - was ist das? Ich blinke doch schon die ganze Zeit, irgendwann biege ich schon ab, vielleicht auch in die andere Richtung - YOLO !
Was mich überrascht hat, ist das Einbahnstraßen funktionieren! Also meistens. Denn wenn mal ein Verkehrsschild da ist, wird sich teilweise sklavisch daran gehalten. Beispiel: Die Ausfahrt eines Hotels darf nicht als Einfahrt genutzt werden - da steht ein Schild! Stattdessen legt der Fahrer dann im Rückwärtsgang die 300m bis zur Einfahrt zurück. In dem Fall entgegen der Fahrtrichtung der Einbahnstraße. Naja, man kann halt nicht immer auf alles Rücksicht nehmen.
Ich habe trotzdem keinen einzigen Unfall gesehen. Wenn die Straße voll ist, müssen halt alle langsamer fahren. Es wird immer die komplette Breite der Straße ausgenutzt. Das heißt auf eine große dreispurige Straße in der Stadt passen mindestens 4-5 Autos nebeneinander + ein paar Motorräder oder Roller dazwischen. Der Platz wird effizient ausgenutzt! Leider kann dann auch keiner mehr irgendwohin ausweichen. Blöd, wenn dann der Rettungswagen nicht durch kommt oder nur mit sehr großer Verspätung.
Außerhalb des Straßenverkehrs gilt oft “Istirahat dulu” (Erstmal Pause machen - locker angehen lassen). Aber hinter dem Steuer wird der Indonesier zum aggressiven Rennfahrer - Hupen und Gas geben! Die Fahrweise ist aktiv/aggressiv. Im Gegensatz dazu wird in Deutschland ja eher eine “passive” Fahrweise unterrichtet. Damit kann man sich im Indonesischen Verkehr nicht durchsetzen.
Geschäfte im Verkehr
Die Indonesier sind sehr erfindungsreich wenn es um Berufe geht. Müssen sie auch, denn es gibt keine Arbeitslosenversicherung oder sonstigen sozialen Sicherungssysteme außer der eigenen Familie.
Ein typischer Tagelöhner arbeitet z.B. als Parkeinweiser, das heißt er lotst Leute die Auto fahren aus Einfahrten auf die Straße oder hilft beim Parken. Dafür gibt es dann 2000-5000 Rupiah (1€ \~ 17.000 Rupiah). Etwas ähnliches sieht man sehr oft bei “Rechtsabbiegern” auf größeren Straßen. Es gibt öfter mal Lücken über die man die Straßenseite wechseln kann - wenn man dass denn auf Grund des Verkehrs überhaupt schafft. Als Abhilfe dienen dann die “Verkehrshelfer”, die mutig auf die Straße treten und den Gegenverkehr so lange aufhalten, bis man selber abgebogen und weitergefahren ist. Wenn man nett ist gibt man den armen Schluckern dann im Vorbeifahren aus dem Fenster raus ein paar kleine “Tausender”-Scheine.
Eine andere Möglichkeit Geld zu verdienen bietet sich an großen Kreuzungen, welche lange Ampelphasen haben. Bei “rot” steht man dort schon mal länger und es gibt Straßenverkäufer die einem allerlei Kleinkram anbieten wollen. Das geht von Erdnüssen über Wasserflaschen, Plastiktüten, Taschentücher und OP -Masken bis hin zu Kinderspielzeug.
Taxi! Taxi? Grab!
Es gibt Taxis. Aber ich frage mich ernsthaft wer die benutzt. Meistens stehen die “blauen Vögel” - das Unternehmen heißt “Bluebird” - nur rum oder fahren leer durch die Gegend. Alle halbwegs auf der Höhe der Zeit befindlichen Indonesier fahren mit einem privaten Fahrdienst welcher seine Scheinselbstständigen ausbeutet der aus glücklichen Mitarbeitern besteht.
Man bestellt sich per App auf dem Smartphone ein GoJek (Motorrad-Taxi), Grab (Auto) oder GoCar. Damit bezahlt man im Gegensatz zum regulären Taxi nur die gefahrene Strecke. Das Taxameter läuft auch im Stau weiter und von denen gibt es viele. Außerdem sind diese Apps extrem praktisch und kundenfreundlich. Bekommt ein Fahrer miese Bewertungen ist er ganz schnell seinen Job los. Kunde ist König, Mitarbeiter eher Lohnsklave.
Baustellen
Zum Thema Arbeitssicherheit schreibe ich mal lieber nichts. Wer den Abschnitt oben gelesen hat kann sich in etwa denken wie das abläuft. Ich sag nur Sandalen, Baseball-Cap und Presslufthammer. Ach ja und Zigarette! Das ist fast das wichtigste Equipment könnte man meinen. Denn geraucht werden muss auch immer. So will es das (soziale) Gesetz!
Auf einer Baustelle arbeiten verglichen mit Deutschland einfach massiv viele Leute gleichzeitig. Arbeitskraft kostet halt fast nichts. Das sorgt dann auch dafür, dass eine viel befahrene Straße innerhalb einer Woche komplett beidseitig mit einer neuen Teerdecke versehen wird. Und es wird immer nur der Teil gesperrt, an dem gerade aktiv gearbeitet wird! Was für ein Konzept! Könnt man in Deutschland vllt. auch einführen?! Absperrungen sind dabei eher dürftig, aber es ist auch die ganze Zeit Personal da, welches die Verkehrsteilnehmer einweist. Die Rollerfahrer weichen auch gern über den Bürgersteig - die eine Seltenheit für sich sind - aus, wenn es nicht schnell genug geht. Gearbeitet wird übrigens bis Nachts um 22:00 Uhr.
Elektromobilität
Insbesondere in den Dörfern habe ich erstaunlich viele kleine Elektro-Roller gesehen (z.B. von der lokalen Marke “U-WinFly”). Die Dinger fahren locker 45km/h, was im Dorf immer reicht. Sind sehr leise und klein und ab ca. 400€ zu haben. Daher meist ein gutes Stück günstiger als ein Verbrennerzweirad. Geladen wird über die ganz normale Steckdose - also wenn Strom da ist…
Tanken
Auch beim Tanken gibt es ein paar Unterschiede. Der größte ist wohl, das man bedient wird. Das heißt man steigt nicht aus dem Auto aus, sondern fährt an die Zapfsäule und sagt der dort wartenden Servicekraft für wie viel Rupiah man tanken möchte. Dann wird bezahlt und der Mann von der Tankstelle waltet seines Amtes.
Benzin kostet übrigens zwischen 13400 und 15800 RP pro Liter - also etwas unter 1€. Dieselkraftstoff heißt aus irgendeinem Grund “Solar”, kostet aber ähnlich viel.
In den Dörfern gibt es oft “Mini-Tankstellen” die im wesentlichen nur aus einer Zapfsäule bestehen. Ansonsten ist es aber immer noch möglich Benzin in alten Plastikflaschen (ehemalige Wasserflaschen) oder Glasflaschen zu kaufen. Die stehen dann schön draußen in der Sonne - vermutlich damit die Bude nicht abbrennt wenn die hochgehen. Aber ich glaube zum Thema Sicherheit hatte ich schon was gesagt ¯\_(ツ)_/¯
Fazit
Für den Deutschen an sich also alles ganz furchtbare Zustände. Aber irgendwie funktioniert es. Dauert nur alles etwas länger.